Ultraschall als echte Entscheidungshilfe
Pilotprojekt an der DRK-Landesschule Baden-Württemberg: Notfallsanitäter-Azubis können an einem Tag lernen, Sonografie für die präklinische Diagnostik einzusetzen
Bislang gibt es Ultraschall in Kliniken und Praxen. Aber auch als Grundausstattung im Rettungswagen kann Sonografie sinnvoll sein, liest man seit Jahren in der Fachliteratur. Nun kommt die Idee in der Praxis an. Ein erster Jahrgang angehender Notfallsanitäter an der DRK-Landesschule Baden-Württemberg am Standort Freiburg hat unlängst ausprobiert, wie ein tragbares Sonografie-Gerät sie in ihrer Arbeit unterstützen kann. Fazit: sehr!
Eineinhalb Tage lang trainierte die Klasse gemeinsam Notfallsonografien speziell bei reanimationsbedürftigen Patienten. Es gab kompakte theoretische Einführungen und einen klaren Schwerpunkt in der Praxis. Wenn es nach den Dozenten Julian Müllerleile und Peter Deichmüller geht, war das kein einmaliger Termin: Sie haben ein Konzept vorgelegt, wie man das Thema fest im Lehrplan der Notfallsanitäter verankern kann. Mit so einem Schritt könnte man der Notfall-Sonografie als einem nichtinvasiven, schnell anwendbaren diagnostischen Mittel eine breite Basis verschaffen.
„Ultraschall hilft nicht nur Ärzten. Auch unsere Fachkräfte können souverän damit arbeiten und enorm profitieren“, sagt Dozent Müllerleile von der DRK-Landesschule. Er hat das Pilotprojekt mit seinem Kollegen Deichmüller und Notarzt Dr. Manuel Abels organisiert, fürs Erste mit Leihgeräten. „Ultraschall bringt allen etwas“, ist sich Müllerleile sicher. „Den Patienten, deren präklinische Diagnose viel besser gelingt als ohne diese Bildgebung. Und ebenso den Einsatzkräften, die schwere Entscheidungen treffen müssen, wobei ihnen Bildgebung sehr helfen kann.“ Als Politikum sieht er es nicht: „Das ist nur eine Diagnose, im Prinzip nicht invasiver als eine Blutdruckmanschette.“ Oder: das Stethoskop der Zukunft.
Notarzt Abels ist DEGUM-Ausbilder der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin. Er sieht klare Vorteile darin, neben den Ärzten auch andere Berufsgruppen zu schulen. „Es geht um Situationen, wie wir sie im Alltag des Rettungsdiensts ständig erleben“, sagt er. „Die Besatzung des Rettungswagens kommt zu einem bewusstlosen Patienten. Ein Arzt ist unterwegs oder noch gar nicht angefordert. Auch ohne Arzt müssen sehr schnell diagnostische Schritte eingeleitet und lebenswichtige Entscheidungen getroffen werden. Ist es eine reversible Ursache oder nicht?“ Er würde es begrüßen, wenn er als Arzt bei einem Notfall eintrifft und ihm die Notfallsanitäter bereits Ultraschallbilder zeigen: „Dann kann ich sofort handeln, wir sparen wertvolle Minuten.“
Im Einsatz bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand – was zu tun ist, beherrschen angehende Notfallsanitäter im Schlaf: reversible Ursachen ausschließen. Aber wie schließt man sie aus? Hierzu gibt es viel zu lernen, mit Ultraschall ginge es leichter und besser. „Einige Fragen, bei denen man derzeit nur mit Indizien arbeiten kann, wären mit einer Sonografie schnell geklärt“, sagt Müllerleile.
Beispiel Spannungspneumothorax: „Von außen haben wir da nur uneindeutige Zeichen.“ Eine Herzbeuteltamponade wäre im Bild gut erkennbar. Hilfreich wären Bilder auch im Fall einer Lungenembolie, die als Chamäleon der Notfallmedizin gilt. „Ich habe selten eine gesehen, die so war wie im Lehrbuch beschrieben. Mit Sonographie würde man die Rechtsherzbelastung erkennen. Man könnte vielleicht sogar eine ursächliche Beinvenen-Thrombose sichern.“ Eine Lungen-Sonografie zeige auch blitzschnell, wenn Flüssigkeit auf der Lunge sei.
Die Freiburger Klasse arbeitete bei ihrem Sono-Training „Hands on“. In Gruppen schallten sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig, wie dies heute auch im Medizinstudium mit Freiwilligen üblich ist. Sie betrachteten Lungen, Herz, große Gefäße. Ergänzend zu den Bildern gesunder Mitschüler gab es Übungsbilder aus der Praxis, echte Notfälle, Pathophysiologie. Trainiert wurde zudem das Schallen während einer Wiederbelebung. Die gesamte Schulung sei im Prinzip auf notärztlichem Niveau gewesen, sagt Abels, die Theorie stammte aus der aktuellen internationalen Literatur.
Das Feedback der Auszubildenden war sehr gut, berichtet Abels. „Das sind ja alles junge Leute, die schon eine gute Vorbildung mitbringen. Spätestens ab der ersten Praxis-Einheit war allen klar: Das ist keine große Sache, das kann man lernen, und das nutzt mir wirklich was.“ Wie eindeutig man einige der reversiblen Ursachen im Ultraschall sehen kann, habe alle überzeugt, berichtet der Notarzt. „Sie waren restlos begeistert.“ Die kleinen Geräte zu bedienen, habe keinen aufgehalten, hat Müllerleile beobachtet; die Technik sei ja auch nicht so viel anders als bei einem Smartphone. „Überraschend war für uns am Ende eigentlich nur eins“, sagt er: „Wie genau unsere Leute nach nur einem Tag schon untersuchen konnten.“
Alle drei Kursleiter hatten sich zuvor lange und intensiv mit der Materie beschäftigt. Notarzt Abels arbeitet bei seinen Einsätzen regelmäßig mit Ultraschall: Das Notarzteinsatzfahrzeug des DRK-Kreisverbands Wolfach ist seit Jahren mit einem Ultraschallgerät ausgestattet, spendenfinanziert. Er findet, alles NEFs und auch alle Rettungswagen sollten so ausgerüstet werden. „Ohne fühle ich mich nackt. Es gibt so viele Einsätze, bei denen ich ohne Ultraschall blind wäre.“ Er hofft, dass das Freiburger Beispiel Schule macht, und will es weiter begleiten und unterstützen.
Die DRK-Dozenten Deichmüller und Müllerleile haben sich während ihres Studiums hineingekniet. Ihre Hausarbeit in Rettungswissenschaften schrieben sie über „Sinnhaftigkeit der Aufnahme von präklinischer Notfallsonographie in das Curriculum für Notfallsanitäter“. Mit eindeutigem Fazit: „Die sonografische Untersuchung kann das präklinische Management völlig verändern.“ Die Sonografie „dem ärztlichen Personal vorzubehalten, macht in unseren Augen keinen Sinn.“ Und weiter: Es würde Sinn ergeben, auch das nichtärztliche Personal auf primären Rettungsmitteln, also die Notfallsanitäter, in Notfallsonografie zu schulen. „So könnte die Notfallsonographie (…) vom Notfallsanitäter selbstständig durchgeführt oder vom Notarzt delegiert werden und diesen im Einsatz entlasten.“ Die beiden Autoren verweisen auf Schulungen, die eine fokussierte Untersuchung innerhalb kürzester Zeit erlernbar und anwendbar machen. „Diese sind schon seit längerer Zeit erprobt und liefern nachweislich ein hohes Maß an Praxissicherheit.“
Einen weiteren Vorteil haben die beiden Initiatoren fest eingeplant: Angehende Notfallsanitäter sollen auch Erfahrungen als Anleiter erwerben. Müllerleile und Deichmüller fänden es ideal, wenn Teilnehmer vom Vorjahr künftig bei diesem Sono-Projekt unterrichten, natürlich professionell begleitet. „Wer als Teilnehmer interessiert ist, sollte während des kommenden Jahres dranbleiben und kann im Folgejahr dann selbst die Neuen schulen“, erklärt Müllerleile sein Schneeballsystem. Es wurde bereits getestet: Schon diesmal gab es eine Schulung vor der Schulung, bei der Notarzt Abels einige zu Multiplikatoren ausgebildet hat, zu Tutoren, die dann während der „Hands On“-Phasen eine Kleingruppe angeleitet haben.
In einem Jahr könnte es also weitergehen. Schulleiter Rico Kuhnke wäre prinzipiell offen dafür, die Schulung zu einem festen Bestandteil der Ausbildung zu machen: "Wir als Schule sind gern vorne mit dabei, wenn sich fachlich Neues entwickelt. Und ich bin stolz, dass wir Dozenten haben, die Engagment zeigen und ein Thema voranbringen. Derzeit muss noch geklärt werden, ob Sonografie in der Notfallrettung flächendeckend eingesetzt wird. Wir beobachten diese Entwicklung genau. Wenn die Weichen gestellt werden, sind wir gut vorbereitet.