Als Retter unterm Heli hängen
Vier Lehrkräfte der Landesschule trainierten bei Air Zermatt Aus dem Fernsehen kennt man’s natürlich – aber in der Realität erleben baden-württembergische Rettungskräfte sowas eigentlich nicht: Notfälle in unwegsamem Gelände, bei denen Retter die Hilfsbedürftigen, wenn’s nicht anders geht, an einem Seil unterm Helikopter schwebend abtransportieren. Neuerdings wissen vier Lehrkräfte der DRK Landesschule sehr genau, wie sich das anfühlt. Sie haben ein Training bei „Air Zermatt“ gebucht, also bei jenem Unternehmen, das weltweit als ein Pionier der Luftrettung gilt. Und sie sind selbst an der „Longline“ 20 Meter unterm Heli durch Alpentäler geschwebt.
Stefanie Schmöckel von der Karlsruher Bildungseinrichtung und ihre drei Freiburger Kollegen Uwe Buhl, Peter Deichmüller und Julian Müllerleile waren im Mai in den Kanton Wallis gereist, um dort im Schatten des Matterhorns ihren Horizont gehörig zu erweitern. „Air Zermatt“ ist nicht nur eine Fluggesellschaft, sondern auch eine Flugschule und bietet regelmäßig Helikopter-Spezialtrainings für Rettungskräfte an. 16 intensive Stunden dauert der „Helicopter Rescue Course“. 16 Stunden, in denen die vier Baden-Württemberger in der Airbase beim Theorie-Unterricht waren, bei Übungen im Hangar, in der Luft – im Helikopter und an der „Longline“ hängend – und draußen am Berg.
Wichtiges Wissen über den Helikopter
Am Anfang ging es um Theorie und darum, das Equipment kennenzulernen, berichtet Julian Müllerleile. „Warum wird was wie gemacht?“ Es gab einen Schnelldurchlauf durch die Geschichte der Luftrettung, zu der „Air Zermatt“ immer wieder Marksteine beigetragen hat. Die Gruppe erfuhr, wie der Helikopter und die Seilwinde funktionieren. Sie machte sich schon mal klar, wie man sich bewegen muss, wenn man es mit einem fliegenden Helikopter zu tun hat, wo die Risiken liegen und worauf man achtgeben muss.
Das mit den richtigen Bewegungen wurde anschließend im Hubschrauber-Hangar geübt. „Man muss sich das echt klar machen: Mein Körpergewicht genügt, um den Heli zu bewegen!“, erzählt Müllerleile. Ebenso schnell hat man den Helikopter mit einer unbedachten Bewegung in Gefahr gebracht. Deswegen muss das so genannte fliegende Ein- und Aussteigen gut trainiert werden: So heißt das Manöver, bei dem der Helikopter nicht landet, sondern in der Schwebe bleibt, wenn er am Einsatzort angekommen ist. Während der Helikopter sich schwebend überm Boden hält, steigen die Retter aus. Das geht schneller und ist bei Rettungseinsätzen am Berg üblich.
Bewusst mit dem Körpergewicht umgehen
„Man darf sein Gewicht nicht zu schnell verlagern. Denn das ist ja alles relativ instabil, und der Rotor des Helikopters ist oft dicht am Gelände“, berichtet Müllerleile. Erfahrene Flugretter halten den Helikopter an einer Kufe fest. Um schon vorab den richtigen flüssigen Bewegungsablauf einzuüben, kletterte die Trainingsgruppe im Hangar auf Stühle und wieder hinunter, das Körpergewicht stets bewusst und ganz behutsam verlagernd.
Im Hangar gibt es auch einen Kran für Wartungsarbeiten. An dem trainierte die Gruppe später, wie sich Rettungskräfte mit dem Karabiner an der „Longline“ einklinken und wie sie daran schweben sollen. Nicht nur allein: Es ging auch darum, wie man einen Menschen im Bergesack mit einklinkt, wie man als sich selbst und diesen Sack ausrichtet und wie man verhindert, dass man sich mitsamt dem Patienten unkontrolliert ums Seil dreht. Die Gruppe lernte außerdem, was der „Downwash“ ist und ausrichtet – die Luftströmung des Rotors, die unten besonders viele Turbulenzen verursacht, wenn der Helikopter in der Luft steht. Sobald er sich bewegt, kommt man unten besser klar.
Erste Übungen am Berg
Dann endlich: der erste Flug. Höhenangst darf man natürlich keine haben, wenn man sich für so einen Kurs anmeldet, „aber Respekt ist immer gut“, sagt Julian Müllerleile. Der Helikopter hob von der Plattform ab, und während die Teilnehmer noch den faszinierenden Ausblick bestaunten, wurden sie an die Berghänge geflogen, wo sie ihre neuen Fähigkeiten fürs fliegende Ein- und Aussteigen direkt anwenden konnten.
Austausch mit den internationalen Kollegen
Statt Feierabend ging es anschließend nochmal in den Hangar, Equipment anschauen und diskutieren. Bei welcher Indikation nutzt man was? „Das war ein cooler Austausch“, erinnert sich Julian Müllerleile. Auch, weil die acht weiteren Teilnehmer ganz unterschiedliche berufliche Hintergründe hatten: Neben DRK-Lehrkräften aus anderen Bundesländern waren auch ein Polizist, Mitarbeiter einer Berufsfeuerwehr und Rettungskräfte aus anderen Ländern dabei. „Es bringt extrem viel, sich mit Fachleuten aus anderen Ländern und anderen Bundesländern zu unterhalten.“
Am nächsten Tag wurden die Herausforderungen größer. Wie kommt man an steilen Hängen zurecht? Wie bugsiert man seinen Patienten in den Helikopter hinein, wie geht es im Heli weiter? Und wie arbeiten Retter in schwierigem Gelände? Es gilt als große Herausforderung, jemanden aus einer Gletscherspalte zu retten – schon allein, weil man nie weiß, wie stabil der Untergrund neben so einer Spalte ist. Deswegen muss man erst mit einem Skistock sondieren, bevor die Rettungsaktion beginnen kann. Die Gruppe lernte, an der Spalte mit einem Dreibein zu arbeiten und die Winde mit einer Akkubohrmaschine zu betreiben. Sollte unten in der Gletscherspalte Wasser sein, braucht man vielleicht sogar Rettungstaucher.
Reanimation und Narkose in der Luft
Auch medizinisch wurde es spannend: Bei „Air Zermatt“ ist es üblich, an der Einsatzstelle und auch während des Flugs in der Luft zu reanimieren. Im Helikopter gibt es dafür eigens eine mechanische Kompressionshilfe. Und, auch das ist eine Besonderheit: Seit 2017 können Notärzte bereits im Helikopter Universalspenderblut geben. Gearbeitet wird mit Trockenplasma und bei Bedarf auch mit Erythrozyten-Konzentrat. Denn die Flugstrecken in der Schweiz können weit sein, und das Ziel ist, die Überlebenschancen der Patienten während des Transports zu steigern.
Am letzten Nachmittag wurde es noch einmal richtig anstrengend: Die Trainer setzten Patientendarsteller am Hang aus, in steilen Lagen und an der Schneefallgrenze. Ein Team nach dem anderen wurde mit seinem Equipment an den Hang geflogen, dort abgesetzt und musste sehen, wie es klarkam. „In dem schwierigen Gelände war es gar nicht so leicht, bis zum Patienten zu gelangen. Dann haben wir ihn versorgt und transportbereit gemacht mit dem Bergesack“, berichtet Julian Müllerleile. Dass man dafür andere Umlagerungstechniken braucht wie zuhause im Alltag, war da schon selbstverständlich. Dass es ihn und auch andere unterwegs mal hingelegt hat, auch. „Der Heli kam mit der Longline und hat uns abgeholt.“ Wenn es sein muss, kann sich ein ganzes Team unten im Seil einklinken, die Arme umeinander legen und als Gruppe zurückfliegen lassen.
Spektakuläre Erinnerungen
Es sind viele spektakuläre Bilder und Erinnerungen, die Julian Müllerleile und die Kollegen mit zurückgebracht haben. In ihrer Erinnerung, aber auch digital in Form von Fotos und Videos. Viele atemberaubende Momente in der Luft und in den Bergen sind so eingefangen worden. Und natürlich gibt es Zertifikate, die in schönstem Englisch bestätigen, was die vier Lehrkräfte eingeübt haben. Das Fliegen an der Leine beispielsweise heißt „Human External Cargo“. Fühlt sich aber viel schöner an.