Besser lernen mit Hund
Ein Vierbeiner hat sich an der DRK-Landesschule in Freiburg unentbehrlich gemacht
Rumo ist zwei Jahre alt und geht schon seit eineinhalb Jahren zur Schule. Der Australian Shepherd ist an der DRK-Landesschule in Freiburg mittlerweile eine wichtige Persönlichkeit – als Schulhund, als Everybody’s Darling, und außerdem hat er eigene Aufgaben in den Schulungen und Unterrichtsstunden übernommen.
Die meisten Schülerinnen und Schüler in der Notfallsanitäter-Ausbildung lernen Rumo bereits an ihrem ersten Schultag in der Freiburger Landesschule kennen. Wenn sich den Klassen nach und nach die Lehrkräfte vorstellen, schaut auch Julian Müllerleile mal vorbei, und mit ihm kommt Hund Rumo. Der zeigt den Neuen gleich mal, wie ihr Job geht – denn Rumo kann reanimieren, also zumindest fast. Das hat sich herumgesprochen, und inzwischen wollen es alle Klassen sehen: Legt man für Rumo die Reanimationspuppe auf den Fußboden, dann drückt der Hund im richtigen Rhythmus den Brustkorb und wechselt zwischendurch zum Beatmen. „Das ist ein guter Einstieg in den Unterricht, das kann man weiterspinnen“, sagt Müllerleile. „Wie macht es der Hund? Was ist richtig, und was muss man besser machen, damit es wirklich funktioniert?“ Und schon läuft das Gespräch über Drucktiefe und Frequenz, das freut das pädagogische Herz von Müllerleile.
Der Hund liest Körpersprache
Später im Unterricht kann man mit dem Hund sehr gut zeigen, wie wichtig Körpersprache ist: Wer „Ja“ sagt, aber mit dem Körper „Nein“ signalisiert, wird erleben, dass der Hund nur auf das „Nein“ reagiert, berichtet Müllerleile. „Körpersprache wahrzunehmen und gut lesen zu können, ist auch für uns im Einsatz oft wichtig, beispielsweise wenn Patienten nicht mehr reden können.“ In Fallbeispiele wird Rumo ebenfalls mit eingebaut – was tun, wenn man einen Patienten schnell in die Klinik bringen sollte, aber da ist ein Hund, den man zurücklassen muss?
„Man kann am Hund auch ein komplettes QM-System aufziehen“, sagt Müllerleile. Wer als Übung fürs Qualitätsmanagement eine Checkliste für einen Einsatz-Rucksack aufstellen soll, ist vielleicht nicht maximal motiviert. Relevanter ist eine Checkliste für den Hund. Der Hund muss sein Futter haben, er braucht Wasser, muss rausgehen – und wenn auch nur eines davon nicht klappt, ganz schlecht. „Da lernt man Verantwortung“, sagt Müllerleile. Die Verantwortung, die man später im Rettungswagen auch braucht.
Mehr Frischluft dank Rumo
Nicht zuletzt sorgt Rumo für mehr Bewegung: Er nimmt mit seinen zweibeinigen Mitschülern an Sportübungen teil, und wenn sein Herrchen in der Mittagspause mit ihm laufen geht, gehen immer auch ein paar Schüler mit, „die sich sonst vermutlich nicht an der frischen Luft bewegt hätten“, Müllerleile klingt zufrieden. Er hat dazu sogar Zahlen: 29,2 Prozent der Schüler gehen bei Anwesenheit des Hundes öfter vor die Tür. 45,8 Prozent geben an, länger an der frischen Luft zu sein, wenn der Hund anwesend ist.
Schuld daran, dass die ganze Landesschule so auf den Hund gekommen ist, ist Müllerleile selbst, ihm gehören Rumo und auch dessen Schwester Aska. „Ich wollte schon länger wieder einen Hund“, erzählt der 28-Jährige. „Und mit meinem Beruf als Lehrkraft hier an der Schule war das viel besser zu vereinbaren als zuvor mit meinen Schichten als Notfallsanitäter im Rettungsdienst.“ Anfangs hatte er eigentlich nur vor, die Vorgesetzten zu fragen, ob er den Hund tagsüber an die Schule mitbringen darf, damit das Tier nicht den ganzen Tag allein daheim ist. „Dann kam die Idee, ihn im Schulalltag aktiv mit einzubinden.“
Der Hund als wissenschaftliches Thema
Eine Idee, die zügig weiter ausgebaut wurde, und zwar sehr fundiert. Denn Julian Müllerleile hat zu der Zeit parallel studiert, das Fach Berufspädagogik im Gesundheitswesen, Fachrichtung Rettung. Zwei weitere Lehrkräfte der Schule studierten mit ihm an der Wilhelm-Löhe-Hochschule in Fürth, die Kollegen Peter Deichmüller und Uwe Buhl. Zu dritt starteten sie im Rahmen ihres Studiums ein Projekt: „Implementierung eines Schulhundes an der DRK-Landesschule“ hieß es. Akribisch haben die drei die Arbeitspakete dafür erarbeitet, Paket für Paket, diese sofort in der Praxis umgesetzt und danach wiederum das Hochschul-Projekt mit ihren neuen Erfahrungen optimiert. Theorie und Praxis eng verzahnt. „Beispielsweise ging es um die Frage, welche Rasse sich als Schulhund eignet, wie sich die Rassen verhalten und bei welchen Züchtern man sie bekommt.“ Kurz darauf standen die drei Lehrkräfte beim Züchter, „da waren die Welpen gerade fünf Wochen alt“. Rumo war jener Welpe des Wurfs, der sofort mutig und interessiert auf sie zulief. Und Aska die kleine Schwester, die dem Bruder überallhin folgte – der Plan wurde geändert, und Müllerleile ging bald mit zwei Welpen heim.
„Sobald Rumo stubenrein war, habe ich ihn mit in die Schule genommen“, das war im Januar 2017. Es folgten weitere Pakete: eine Schulung für Lehrkräfte und Schüler im Umgang mit dem Schulhund, ein Ausbildungsplan für Hund und Besitzer, eine hund- und menschengerechte Infrastruktur in der Schule, ein Hygieneplan und viele weitere Dinge wurden erarbeitet. Mit dem neuen Schuljahr 2017/2018 war Rumo dann ganz offiziell mit dabei.
Training für Hund und Mensch
Müllerleile lebt in Herbolzheim. Wie er mit Hund an die Schule nach Freiburg (anfangs noch nach Bühl) kommt, das Problem muss er selbst lösen, er fährt manchmal Auto und manchmal Bahn. Beides mussten sie anfangs trainieren, speziell das Ein- und Aussteigen. „Solange ich noch Student war, war das Ticket für den Hund teurer als meines“, erinnert er sich grinsend. Er macht mit Rumo außerdem die Ausbildung zum Therapiebegleithund. Der Trainer dort unterstützt und fördert jeden ganz individuell, somit auch all das, was mit Rumos Job als Schulhund zu tun hat.
„Am Anfang war es in der Schule vor allem eine gigantische Ablenkung. Oh, Hundewelpen!“ Schnell habe es auch interessante Effekte gegeben, erzählt Müllerleile: „Nach der Pause war es ganz still, und zwar ohne dass ich es tausend Mal sagen musste. Und warum? Weil es sonst ja dem Welpen zu laut gewesen wäre. Wir hatten zuvor schon gehört, dass ein Hund solche positiven Effekte haben kann, aber es zu erleben, war schon toll.“ Als klar wurde, wie positiv die Effekte sind, haben sie ihr Projekt noch einmal ausgeweitet: Müllerleile und Deichmüller machten daraus ihre Bachelor-Arbeit, mit der sie ihren Studiengang in Fürth schließlich auch mit sehr guten Noten abschlossen.
Der lange Titel des wissenschaftlichen Werks: „Die Anwendung von Kynopädagogik zur Förderung von Lernklima und Lernverhalten. Qualitative Analyse des Einsatzes hundgestützter Pädagogik am Beispiel der schulischen Ausbildung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter an der Bildungseinrichtung Bühl der DRK Landesschule Baden-Württemberg gGmbH“. Durchaus beachtlich: „Hundgestützte Pädagogik im Bereich der Notfallsanitäter-Ausbildung ist völliges Neuland“, schreiben sie in ihrer Einleitung zutreffend. Und analysieren dann auf über 100 Seiten, wie sich der Hund als Co-Pädagoge verhält und welchen Einfluss dies auf Lernatmosphäre und Lernverhalten der Schüler hat.
Der Schulalltag verändert sich
Befragungen der beteiligten Schülerinnen und Schüler haben ergeben: Der Hund verbessert Stimmung, Laune und Atmosphäre, bringt Spaß und Beruhigung und hat positive Auswirkungen auf das soziale Miteinander der Klasse. Den größten Einfluss scheint Rumo auf die Regeneration der Schüler zu haben: Sie gaben an, durch den Hund Stress abbauen zu können, positive Abwechslung zu erfahren, Energie zu tanken und den Kopf frei zu bekommen.
Rumo entwickelt sich nach wie vor prächtig. Er besitzt einen eigenen Rucksack und lernt gerade, aus dem Menschenrucksack bestimmte Modultaschen zu bringen. Und er wird am Rand des Unterrichts ziemlich verwöhnt. Herrchen sieht das nicht nur gern: „Ich muss es immer mal wieder sagen: Gebt ihm keinen Quatsch!“ Bislang hatte Rumo noch keine Probleme. Vielleicht auch wegen Müllerleiles Drohung: „Wer dem Hund was Falsches füttert, so dass er Durchfall kriegt, der muss ihn für 24 Stunden mit heimnehmen.“